José A. Zamora |
«Erlösung unter Bilderverbot. Zu Th. W. AdornosIdee der Versöhnung nach Auschwitz» en: Jahrbuch Politische Theologie, 2 (1997), pp. 121-141 |
Was ans Bild sich
klammert,
bleibt mythisch befangen, Götzendienst.
Das perennierende
Leiden hat soviel Recht auf Ausdruck
wie der Gemartete zu brüllen.
Th.W. Adorno
Eine christliche Theologie nach Auschwitz, die angesichts dieser Katastrophe sich verantworten ließe, hat ein unabdingbares Bekenntnis als Voraussetzung: »Wir werden uns ... versagen, das Leiden des jüdischen Volkes von uns aus heilsgeschichtlich zu deuten. Wir haben dieses Leid in keinem Fall zu mystifizieren! Wir begegnen in diesem Leid zunächst nur dem Rätsel unserer eigenen Fühllosigkeit, dem Geheimnis unserer eigenen Apathie, nicht aber den Spuren Gottes«.(1) Mit diesem Bekenntnis geht eine Aufforderung einher: Auf jede Art von Heilsmetaphysik zu verzichten, gegen alle Theodizeeantworten die Theodizeefrage offenzuhalten.(2) Das bedeutet, darauf zu verzichten, das Leiden überhaupt in eine argumentative Sinnstruktur einzufügen und es darin aufzuheben. Leiden ist das schlechthin Individuellste, in keinem übergeordneten Ganzen Subsumierbare, von keinem spekulativen System Wegzuinterpretierende.
Diese Aufforderung beinhaltet wiederum ein Revisionsprogramm, das die ganze Theologie in ihren historisch-konkreten Gestalten betrifft. Viel zu lange hat sie aber ihren Versöhnungsgedanken in der idealistischen Wahrnehmung der Geschichte eingeübt, als daß es ihr auf Anhieb gelingen könnte, sich von ihrer Leidensvergessenheit zu befreien. Gilt nicht doch auch für die Theologie, was G. Simmel der Philosophie vorgeworfen hat: ,Es sei erstaunlich, wie wenig man ihrer Geschichte die Leiden der Menschheit anmerkt'(3)? Ist es nicht eines der größten Probleme der christlichen Theologie, daß sie von der Kritik, die an sie herangetragen wurde, auf wesentliche, von ihr vergessene Momente ihrer eigenen Identität aufmerksam gemacht werden mußte? Besteht nicht weiterhin der Bedarf, dieser Kritik zuzuhören, sich der möglicherweise darin enthaltenen Gefährdung auszusetzen, aber auch die Chance zur Bekehrung in ihr wahrzunehmen?
Die folgenden Seiten möchten Adorno als unverzichtbaren Dialogpartner jeder nachidealistischen Theologie empfehlen, die ja auf Selbstkritik weder verzichten kann noch will. Es soll nicht vergessen werden, daß Erlösung und Bilderverbot auch bei Adorno einen klaren theologischen Hintergrund aufweisen. Vermieden werden soll jedoch die bekannte Argumentationsfigur, die bei der Bezichtigung seiner Philosophie als Kryptotheologie stehenbleibt, die also in seiner negativen Dialektik nur eine ihrer Selbst unbewußte negative Theologie zu sehen vermag.(4) Denn selbst Theologie und erst recht eine negative kann nicht vom Zivilisationsbruch ,Auschwitz' absehen: Von ihm aus muß das Verhältnis zwischen Erlösung und Bilderverbot neu gedacht werden, von ihm aus müßte dann auch die Beerbung negativ-theologischer Ansätze versucht werden.
Dialektik der Aufklärung und Theologie
Die radikalste Kritik am Christentum ist m.E. in der Aussage der Dialektik der Aufklärung enthalten, daß der Antijudaismus sich zum Christentum nicht peripher verhält, sondern wesentlich zu ihm gehört. Antijudaismus ist sozusagen die Kehrseite eines Heilsoptimismus, der an seiner Widerlegung durch die Realität krankt. Am Unheil der Juden soll sich die affirmierte, jedoch real ausgebliebene Erlösung verkehrt bewahrheiten, d.h., an denen, die mit ihrer bloßen Existenz eine lebendige Erinnerung des Unerfülltbleibens der christlichen Heilserwartung darstellen. Ohne den Unterschied zwischen christlichem Antijudaismus und modernem Antisemitismus zu leugnen, stellen Horkheimer und Adorno so eine strukturelle Analogie zwischen beiden im verletzten Narzißmus fest, der jenseits aufklärerischer Religionskritik und Säkularisierung auf untergründige Gemeinsamkeiten und Kontinuitäten zwischen Christentum und bürgerlicher Gesellschaft hindeuten.
Wohl sehen Adorno und Horkheimer im Christentum gegenüber dem Judentum offensichtlich eine Milderung des göttlichen Schreckens enthalten, die aber um den Preis der Idolatrie erkauft wird: der Verabsolutierung des Endlichen. Die vollzogene Vergeistigung, die sich sowohl in der Autonomie des Geistigen als auch in der Affirmation einer gelungenen Versöhnung von Natur und Übernatur ausdrückt, erweist sich als trügerisch affirmative Sinngebung. Diese kann nur durch Verdrängung des jüdisch-negativen Momentes(5) in der christlichen Doktrin und durch Wiederherstellung der Magie (der administrativen Absicherung des Heils: Kirche und Sakramente) aufrechterhalten werden. Die Unfähigkeit, die Unverbindlichkeit des geistlichen Heilsversprechens auszuhalten, läßt das Christentum zum sicheren Heilsbesitz werden, dessen Kehrseite ein unstillbares schlechtes Gewissen ist, das sich gegen alles wendet, was an die Unsicherheit des sicher geglaubten Heils erinnert: »Das Ärgernis für die christlichen Judenfeinde ist die Wahrheit, die dem Unheil standhält, ohne es zu rationalisieren, und die Idee der unverdienten Seligkeit gegen Weltlauf und Heilsordnung festhält, die sie angeblich bewirken sollen« (DA, S. 204). In diesem Ärgernis soll man nach Adorno den religiösen Ursprung des Antisemitismus suchen.
Man kann sich über die Berechtigung oder über die mögliche Einseitigkeit dieser Kritik streiten. Die ontotheologische Fundierung der Metaphysik und die darauf erbaute Theologie nicht weniger als deren Aufhebung in Geschichtsphilosophie wären jedoch kaum zu verstehen, wenn man die Intention der Absicherung eines einseitigen, von der Negativität und Sinnwidrigkeit der Realität aber stets gefährdeten Vernunft- und Heilsoptimismus an ihnen übersieht. Diese Einseitigkeit machte erst eine idealistische Konstitution der christlichen Theologie möglich, die säkularisiert in der modernen Geschichtsphilosophie neue Gestalt annimmt.(6) Das Modell ihrer Interpretation der Geschichte hat diese, Adorno und Horkheimer zufolge, dem Christentum entlehnt, das die Ohnmacht des Guten in der Geschichte verkannt und es zu ihrer treibenden Kraft verklärt hat. Dies hat nicht nur eine falsche Interpretation der Geschichte mit sich gebracht, sondern darüber hinaus das, was dem Unheil widerstehen, ja den Gang der Geschichte brechen sollte, durch seine Verklärung zu der sie lenkenden Macht entstellt und verleugnet (vgl. DA, S. 255).
Weil das Gute bis heute dem Leiden ausgeliefert ist und eine einheitliche Theorie der Geschichte nur unter der Signatur des Grauens zu konstruieren ist, bleibt der Widerstand gegen das Leiden jedem Denken verwehrt, das den Verlauf der Geschichte als einen wie auch immer garantierten Prozeß zum Guten verklärt. Es bleibt dem erinnernden Denken vorbehalten, in dem ,der nie erlöschende zarte Trieb der Kreatur nach Ausdruck und Licht' widerscheint. Der Wahrheitsgehalt der totalen Ansprüche christlichen Heils und der Forderung nach unbedingter Gerechtigkeit sind in den Augen Adornos angesichts der Leidensgeschichte der Welt nur negativ zu retten. »Kein vom Hohen getöntes Wort, auch kein theologisches, hat unverwandelt nach Auschwitz ein Recht« (ND, S. 360).
Auschwitz und die Idee der Versöhnung
Nicht erst nach Auschwitz ist »affirmative Lüge, irgend dem Dasein positiven Sinn zuzuschreiben«.(7) Die Massenvernichtung in den Todeslagern läßt jedoch alle metaphysischen oder geschichtsphilosophischen Spekulationen über die Vernunftmäßigkeit der Realität bzw. über eine weltgeschichtliche Dialektik des durch die Negativität hindurch sich verwirklichenden Absoluten als Hohn erscheinen. »Gelähmt ist die Fähigkeit zur Metaphysik, weil, was geschah, dem spekulativen metaphysischen Gedanken die Basis seiner Vereinbarkeit mit der Erfahrung zerschlug« (ND, S. 354). Adorno läßt in aller Deutlichkeit erkennen, daß seine ,Meditationen zur Metaphysik' keine Restauration ihres positiven Begriffs bezwecken. Nach Auschwitz hat die Metyphysik, der Theodizee so verwandt, ihre Glaubwürdigkeit völlig verloren. Aus diesem Ereignis kann man nicht einmal eine Metaphysik der Grenzsituationen gewinnen, aus denen der Existentialismus die Quelle der menschlichen ,Eigentlichkeit' machen zu können glaubte.(8) Wenn schon die Inkommensurabilität des Todes überhaupt alle sinngebenden Reflexionen über den Tod als hilflos erscheinen lassen (vgl. ND, S. 362), bedeutet Auschwitz eine radikalere Verunmöglichung solcher Reflexionen, denn »seit Auschwitz heißt den Tod fürchten, Schlimmeres fürchten als den Tod« (ND, S. 364). In Auschwitz starben ,Exemplare', ihrer Individualität, d.h., auch ihres Todes als etwas ihnen Eigenes beraubt (vgl. ND, S. 355). Weil Auschwitz der menschlichen Erfahrung inkommensurabel bleibt, ist es im Medium der Sprache nicht darstellbar.(9) Hier hat die Geschichte den Positivisten Durkheim und seine Weigerung, zu verstehen, bestätigt, denn es stimmt, daß »die äußerste soziale Tatsache, Auschwitz, wirklich nicht sich verstehen läßt«.(10)
Ein Abgrund des Schweigens öffnet sich vor dem Unfaßbaren: »Schweigend nur ist der Name des Unheils auszusprechen«(11), obwohl nicht einmal »das Schweigen ... aus dem Zirkel heraus[kommt]« (ND, S. 360). Deshalb »sieht das Bewußtsein, das dem Unsagbaren standhalten möchte, immer wieder auf den Versuch zu begreifen sich zurückgeworfen, wenn es nicht subjektiv dem Wahnsinn verfallen will, der objektiv herrscht«(12). Das läßt die Bewußtseinsarbeit als ein fast aussichtsloses Unterfangen erscheinen.(13) In diesem Zusammenhang ist der Vorwurf des performativen Widerspruchs zu analysieren. Kritik diskursiven Denkens in toto ist diesem Vorwurf zufolge widersprüchlich, weil sie sich des rationalen, im Identitätsprinzip fundierten Diskurses bedienen muß. Theorie muß Theorie als solche und nicht bloß eine konkrete Form von ihr kritisieren. Das Problem muß man aber von einem anderen Blickpunkt aus betrachten. Die Gefahr, die Adorno sieht, besteht darin, daß jeder Satz mit seiner bloßen Existenz, bedingt durch den notwendigen Gebrauch der Logik, Sinn erzeugt. Angesichts der Katastrophe von Auschwitz, die jeden Sinn Lügen straft, ist jeglicher Diskurs schuldig und blasphemisch. Er frevelt gegen das unsagbare Leid der Opfer, verharmlost es notwendigerweise. Man sieht sich jedoch von der Katastrophe selbst gedrängt, zu sprechen, weil das Schweigen nicht weniger mitschuldig macht an der Ungerechtigkeit, die die Opfer erlitten. Man muß also freveln. Mindestens -- so Adorno -- sollte man es nicht vergessen.(14)
Sowohl die sprachliche Artikulation der radikalen Negativität (Auschwitz) als auch ihr Gegenteil (Idee der Versöhnung) erscheinen als eine unmögliche, aber zugleich unverzichbare Aufgabe des Denkens, eine Aufgabe, die diesem einen paradoxen und aporetischen Charakter verleiht. Die Utopie der Eliminierung historisch verschuldeten Leidens hat ihren Ursprung in der Hoffnungslosigkeit und in der Verzweiflung über den Zustand der Welt, in der das Leiden ungerechterweise das Leben so vieler Menschen bestimmt. Leicht erkennt man daher in den Bemühungen Adornos Benjamins Idee der ,Rettung des Hoffnungslosen', die jener sich schon sehr früh zu eigen gemacht hat.(15) In dieser Idee verbinden sich in verdichteter Weise »die radikale Diesseitigkeit und die kompromißlose Erlösungssehnsucht seines Denkens«.(16)
Das Motiv der Erlösung artikuliert sich daher allein in der radikalen Kritik des negativ Bestehenden und fällt sonst unter das Bilderverbot, d.h., es entzieht sich jedem Versuch einer positiven Bestimmung. Wie in der jüdischen Religion will Adorno Hoffnung einzig an das Verbot knüpfen, »das Falsche als Gott anzurufen, das Endliche als das Unendliche, die Lüge als Wahrheit« (DA, S. 40). Eine positive Bestimmung würde nach Adorno den Gedanken der Erlösung an die Gegenwart verraten und damit auch noch Verrat an den Hoffnungen der Opfer der Geschichte verüben, um derentwillen einzig uns Hoffnung gegeben ist. »Wer einen richtigen Zustand ausmalt, um dem Einwand zu begegnen, er wisse nicht was er wolle, kann von jener Vormacht [des Objektiven, Verf.], auch über ihn, nicht absehen. Vermöchte selbst seine Phantasie alles radikal verändert sich vorzustellen, so bliebe sie immer noch an ihn und seine Gegenwart als statischen Bezugspunkt gekettet, und alles würde schief. Auch der Kritischste wäre im Stande der Freiheit ein ganz anderer gleich denen, die er verändert wünscht« (ND, S. 345). Nur durch strikte Einhaltung des Bilderverbots widersetzt sich die Hoffnung den falschen Versöhnungen mit dem, was es gibt, und den voreiligen (Ver-)Tröstungen, die der negativen Realität entfliehen wollen und sie so bei ihrem Zustand belassen.
In keinem anderen Text Adornos kommt der paradoxale Charakter vom Erlösungsgedanken so zum Ausdruck als in dem viel zitierten Aphorismus, der die Minima Moralia abschließt (vgl. MM, 281). Adorno verlangt von der Philosophie, daß sie alle Dinge vom Standpunkt der Erlösung aus betrachtet. Unter dem Licht der Erlösung erscheinen diese Dinge jedoch nicht als erlöst, sondern bedürftig und entstellt. Sie sind nicht proleptischer Vorschein des Absoluten durch Teilhabe an ihm, wie die alte Metaphysik dachte. Vielmehr tritt der Abgrund zwischen ihrem realen Dasein und dem erlösten Zustand gerade vom Standpunkt der Erlösung aus in aller Schärfe hervor.(17) Allein einer Betrachtung der Welt sub specie redemptionis erscheint das ganze Ausmaß der Entstelltheit und Beschädigung ihres Daseins, das jegliche Ideologie durch Leugnung, Beschönigung oder Ablenkung zu verschleiern hilft.
Die mögliche affirmative Entstellung des Erlösungsgedankens wird durch einen Perspektivenwechsel verhindert, wie Adornos Deutung des Kafkaschen Werkes zeigt: Sein »Werk fingiert einen Ort, von dem her die Schöpfung so durchfurcht und beschädigt erscheint, wie nach ihrem eigenen Begriff die Hölle sein müßte. Im Mittelalter hat man Folter und Todesstrafe an Juden ,verkehrt' vollzogen; schon an der berühmten Stelle des Tacitus wird ihre Religion als verkehrt angeprangert. Delinquenten werden mit dem Kopf nach unten aufgehängt. So wie diesen Opfern in den endlosen Stunden ihres Sterbens die Erdoberfläche muß ausgesehen haben, wird sie vom Landvermesser Kafka photographiert.«(18) Es ist diese Betrachtungsweise, die das Verlangen des entstellten Daseins nach radikaler Veränderung des bestehenden Zustandes offenlegt.
Den Standpunkt der Erlösung einzubeziehen, bedeutet also nicht, dessen mächtig zu sein, sondern die Perspektive zu gewinnen, die einzig den Gegenständen gerecht werden kann: Die ihre Entstelltheit unter der vollendeten Negativität beredt werden läßt. Diese Perspektive deckt das, was ist, als das Nichtseinsollende auf, und präsentiert Erlösung als den einzigen Zustand, der dem Entstellten und Beschädigten in der Geschichte Gerechtigkeit widerfahren ließe, wenn er einträfe.(19) Keine Philosophie kann also real den Standpunkt der Erlösung einbeziehen, keine ist dem Bannkreis des entstellten Daseins entronnen. Sie ist mit derselben Bedürftigkeit geschlagen, die das Verlangen nach Erlösung bestimmt, das sie zu artikulieren hat. Die subjektive Vernunft ist auch noch in die Herrschaftslogik verwickelt, die die historische, soziale Negativität zu verantworten hat und die in Auschwitz ihre entsetzlichsten Früchte trug.
Die Distanz, die die Philosophie braucht, um von der Erlösung her die Welt zu betrachten, hat sie nicht. Um ihrer Möglichkeit willen muß sie also ihre Unmöglichkeit begreifen. Die unmögliche Übung des Denkens, den Standpunkt der Erlösung einzubeziehen, ohne ihn real beziehen zu können, ist die Aufgabe jeder um die Wahrheit bemühten Philosophie. Die Aporie des Erlösungsgedankens ist ja gerade, daß er nicht bloßer Gedanke sein darf, wenn es mit der Erlösung ernst ist, daß er aber so lange Gedanke bleibt, wie die negative Realität fortbesteht. »Erlösung denken, also auch Erlösung einbeziehen in das Zusammenspielen, das vom Denken bestimmt wird, heißt: ein Problem angeben, an dem Denken scheitert, heißt: das Denken zusammenhalten mit dem, was es nicht denken kann, was es auch noch in dieser -- denkenden -- Aussage verfehlt.«(20)
Telos der Versöhnung: das Nichtidentische
Der einzige Weg, der dem Denken übrig bleibt, scheint der Weg der Kritik des Negativen zu sein. Adorno läßt aber auch in dem berühten Aphorismus der Minima Moralia einen Weg erkennen, den man allerdings nicht ohne diese Kritik begehen kann, und zwar in der gewaltlosen und willkürfreien Empathie mit den Dingen. Denn diese müßte in ihrer Bedürftigkeit und Entstelltheit die Sehnsucht nach Erlösung wahrnehmen können, deren Erfüllung aus der Perspektive der Endlichkeit menschlicher Existenz und Erkenntnis nicht mit Sinn gedacht oder gar affirmiert werden kann, auf die jedoch das Denken nicht verzichten kann, ohne zur bloßen Reproduktion des Bestehenden zu werden, wenn nicht gar zu ihrer ideologischen Bestätigung.
Von dieser Empathie geleitet spekuliert Adorno, nicht ohne Selbstironie, über den Stand der Versöhnung: »Wäre Spekulation über den Stand der Versöhung erlaubt, so ließe in ihm weder die ununterschiedene Einheit von Subjekt und Objekt noch ihre feindselige Antithetik sich vorstellen; eher die Kommunikation des Unterschiedenen. Dann erst käme der Begriff von Kommunikation, als objektiver, an seine Stelle. Der gegenwärtige ist so schmählich, weil er das Beste, das Potential eines Einverständnisses von Menschen und Dingen, an die Mitteilung zwischen Subjekten nach den Erfordernissen subjektiver Vernunft verrät. An seiner Stelle wäre, auch erkenntnistheoretisch, das Verhältnis von Subjekt und Objekt im verwirklichten Frieden sowohl zwischen den Menschen wie zwischen ihnen und ihrem Anderen. Friede ist der Stand eines Unterschiedenen ohne Herrschaft, in dem das Unterschiedene teilhat aneinander.»(21)
Weit davon entfernt, Versöhnung, wie Habermas es meint, »in Begriffen einer unversehrten Intersubjektivität [zu beschreiben], die sich allein herstellt und erhält in der Reziprozität der auf freier Anerkennung beruhenden Verständigung«,(22) stellt Adorno als Bedingung für eine unversehrte (Inter-)Subjektivität sowohl das Einverständnis von Menschen und Dingen als auch das »Eingedenken der Natur im Subjekt« (DA, S. 58), das heißt, eine nicht entstellte Beziehung zur inneren und äußeren Natur. Adorno fragt sich nicht nach den formalen Bestimmungen kommunikativer Infrastruktur(23), sondern nach dem materialen Moment von Emanzipation, Glück und Lebensfülle, Moment, das sich einer wissenschaftlich-diskursiven Rekonstruktion widersetzt. Die Idee universaler Versöhnung geht über die eines herrschaftsfreien Diskurses hinaus. Sie will der Natur dazu verhelfen, was sie vergeblich möchte und nur die Kunstwerke vollbringen: »sie schlagen die Augen auf« (ÄTh, S. 104).(24)
Es kann demzufolge nicht verwundern, daß Adorno die körperliche Erfahrung als Raum kommunikativer Beziehung mit äußerer und innerer Natur und als privilegiertes Szenarium zur Thematisierung der Idee der Versöhung erachtet. Im Leiden vergegenwärtigt sich in besonderer Weise das somatische Moment der Erkenntnis, das von ihrer Gleichsetzung mit diskursivem Denken unterdrückt wird. Deshalb befindet sich auch in der Erfahrung physischen Schmerzes und psychischen Leidens die Quelle der Entzauberung des Begriffs und der Identität mit seinem Anderen (vgl. ND, S. 203). Die somatische Innervation verhält sich wie ein Seismograph, der in den Leiderfahrungen die gesellschaftliche Negativität registriert und den ideologischen Charakter ihrer Legitimationen nachspürt. Der Zwang auf den Einzelnen, der im Leiden zutage tritt, ist der Nachweis der Partikularität des herrschenden Allgemeinen, der Einschränkung der Vernunft, die sich durch es durchsetzt (vgl. ND, S. 311f.). Die Resistenz des Leidens gegen die diskursive Erkenntnis, der jenes fremd bleibt, läßt die Brüche im Diskurs entstehen, an denen die Identität selbst brüchig wird. Weil das Leiden aber die Grenzen setzt, die das Denken als seine eigene erkennen kann, wird es am Leiden dessen bewußt, wie wenig diskursiv-identifizierendes Denken überhaupt ans Gedachte heranreicht, wie wenig es sein Ziel erreicht: das Nichtidentische.
Das ist der Grund dafür, daß das Leiden als somatisches Moment der Erfahrung, zwar nicht ohne subjektive Vermittlung, doch die Tendenz des Bestehenden bricht, sich zu perpetuieren. Nietzsches Satz --»Weh spricht: vergeh«-- drückt das aus, was das somatische Moment der Erkenntnis stets verlangt, »daß Leiden nicht sein, daß es anders werden solle« (ND, S. 203). Aber auch Wunschphantasien und sehnsüchtige Träume können Boten des somatisch-naturhaften Impulses sein, der den ,Anstoß von außen' gibt, in dem der Geist als ausdifferenzierter und modifizierter Impuls seiner Naturbasis gewahr werden kann. Negative Dialektik nimmt sowohl Leiden als auch Phantasien in sich auf und versucht sie produktiv zu mobilisieren. Im Gegensatz zur idealistischen Dialektik ist das Ziel der negativen jedoch nicht die absolute Identität von Identität und Nicht-Identität, sondern die Freigabe des Nichtidentischen, die erst die Vielheit des Verschiedenen eröffnete, ohne die keine Versöhnung stattfinden kann: »Der versöhnte Zustand annektierte nicht mit philosophischem Imperialismus das Fremde, sondern hätte sein Glück daran, daß es in der gewährten Nähe das Ferne und Verschiedene bleibt, jenseits des Heterogenen wie des Eigenen« (ND, S. 192).
Die Tatsache, daß diese Idee der Versöhnung sich gegen ihre Assimilierung ins Reich argumentativen Diskurses widersetzt, daß sie also unversöhnlich »deren Affirmation im Begriff« (ND, S. 163) verwehrt, zeigt verstärkt den aporetischen Charakter, aber auch die Unabdingbarkeit eines Denkens, das mehr sein will als bloße Nachkonstruktion dessen, was es gibt. Trotzdem sucht Adorno in der Mimesis als dem vermeintlichen Anderen des Begriffs keine Alternative, die einen neuen Zugang zur Idee der Versöhnung gewähren könnte. Philosophie kann nicht anders als mit Begriffen denken, und mit ihnen nimmt sie auf sich die Unwahrheit und die Schuld der falschen Identität (vgl. ÄTh, S. 382). Einzig bleibt ihr übrig, sich gegen das Vergessen des Vergessens, das diese falsche Identität bedeutet, zu wehren, die Arbeit der Selbstreflexion auf sich zu nehmen und ihre eigene Unwahrheit zu reflektieren -- und womöglich zu berichtigen; zu versuchen, das Begrifflose mit Begriffen aufzutun, ohne es ihnen gleichzumachen (vgl. ND, S. 21), d.h., über die Begriffe durch diese selbst hinauszugelangen (vgl. ND, S. 27).
Adornos Philosophie bewegt die Hoffnung, »in zweiter Reflexion die Suprematie des Denkens über sein Anderes« zu brechen (ND, S. 201). Sie wendet sich in ihrer Kritik am konstitutiven Bewußtsein gegen die Unterschlagung des Nichtidentischen. Ihr wahres Interesse hat sie im Besonderen, Begrifflosen, Ausgeschlossenen und Vergessenen, dort, wo die philosophische Tradition ihr Desinteresse bekundete. Statt sich wie die prima philosophia in Besitz des Absoluten zu dünken, müßte sich eine transformierte Philosophie frei von vorfabrizierten Schemata ihren Objekten hingeben und sich in ihr Heterogenes versenken. Diese Philosophie, ungeschmählerte Erfahrung im medium begrifflicher Reflexion, versuchte nicht, sich das Verschiedene und Fremde zu unterwerfen, sondern sich ihm buchstäblich anzuschmiegen. »Nicht anders vermag der Begriff die Sache dessen zu vertreten, was er verdrängte, der Mimesis, als indem er in seinen eigenen Verhaltensweisen etwas von dieser sich zueignet, ohne an sie sich zu verlieren« (ND, S. 26).
Wie man sehen kann, das Telos der Versöhnung ist das Nichtidentische, dies Unauslöschliche, das der Begriff nicht völlig einholen und in sich verschwinden lassen kann, d.h., jene Realität, der eine nicht reglementierte und unverkürzte Erfahrung gerecht werden will. Diese Erfahrung wäre selbst Ausdruck und Index der Versöhnung.(25) Aber nur eine Erkenntnis, die sich anstrengt, ihre Gewalt gegen das Objekt zu destruieren, und den Schleier zu zerreißen, den sie unentwegt um es webt, kann sich ohne Angst ihrer eigenen Erfahrung anvertrauen.(26) Durchs Eingedenken des im Subjekt und von ihm Unterdrückten kann dieses sich gegen die Herrschaft wenden, die ihm als Fundament dient. Eingedenken ist ein Reflexionsakt des Geistes über sich selbst als entzweite Natur. In der Selbstreflexion »ruft Natur sich selber an, ... als Verstümmeltes« (DA, S. 57). Es handelt sich nicht um eine romantische Rückkehr zur (ersten) Natur, sondern um die Kritik instrumenteller Vernunft als Funktion der Selbsterhaltung. Es handelt sich letztlich um eine Suche nach den Spuren des durch sie Unterdrückten und Verstümmelten, nach den Ansprüchen der lebendigen Natur im Subjekt und den Leibtrieben, deren Gestalt sich unter repressiven Bedingungen entstellt darstellt.
Wie gesehen, hat die Idee der Versöhnung mehrere Bedeutungen. Sie bezeichnet die Utopie einer durch die Freiheit zu ihrem Objekt geleiteten Erkenntnis, d.h., durch die freie Kommunikation von Subjekt und Objekt, aber auch durch die Kommunikation des Verschiedenen. Sie bedeutet die Überwindung der Herrschaft, die der Ermächtigung des Subjekts entstammt; die Abschaffung ungerechten und sinnlosen Leidens; die Konvergenz von theorischen Bewußtseins und somatischem Moment der Erfahrung; usw. Ohne eine bloß formale Idee zu sein, da sie die materiale Dimension von Emanzipation, Glück und Lebensfülle in sich aufnimmt, wird Adornos Idee der Versöhnung nicht afirmativ in schlecht metaphysischem Sinn. Sie bleibt an die Kritik der negativen Realität und an die nicht verkürzte oder reglementierte Erfahrung des Nichtidentischen gebunden, und so mit offenen Ausgang. Ist diese Idee der Versöhnung aber mehr als ein vergeblicher Wunsch?
Die Unausdenkbarkeit der Verzweiflung
Adorno stimmt mit Nietzsche überein, der Theologie und Metaphysik kritisierte, weil sie Hoffnung mit Wahrheit verwechselten: aus der Unmöglichkeit, ohne das Absolute, d.h., ohne Erlösung, leben zu können, aus dem Wunsch nach Gott seine Existenz zu behaupten (vgl. MM, S. 107). Gegen diese überaus starke Tendenz, aus den Bedürfnissen das Dasein dessen abzuleiten, wessen wir bedürfen, hat sich die Aufklärung durch ihre Ideologie- und Religionskritik mit Recht gewehrt. Aber: »Wenn wir gar nicht aus Bedürfnis mehr denken, wenn wir also so denken, daß aus unseren Gedanken das wishful thinking, der Wunsch als Vater des Gedankens, ganz und gar unterdrückt ist, dann können wir eigentlich überhaupt nichts mehr denken. Weil wir dann über das, was ist, nicht mehr hinausreichen, weil wir das bloß Seiende dann gar nicht mehr zu transzendieren vermögen«.(27)
Die total vergesellschaftete Gesellschaft präsentiert sich als ,ein ausweglos dichtes Gewebe der Immanenz' (ND, S. 362), d.h., mit dem mythischen Schein einer durch hermetische Wiederholung bestimmten Natur. Indem die Gesellschaft zum System wird, das sich unter selbstgestellten Bedingungen reproduziert und entfaltet (d.h., indem sie sich in ein selbstgesteuertes System verwandelt), dehnt sie ihren Umfang aus, wird sie zum Kosmos, der nichts außer sich duldet, von dem es keinen Ausweg gibt. Sie verhindert jede Infragestellung ihrer Voraussetzungen und vermeintlichen Sachzwänge. Aber eine zum Kosmos verwandelte Gesellschaft wird zugleich in ihrer geschlossenen Immanenz zur Hölle.(28) Ohne das Absolute als das radikal Andere des Bestehenden, ohne den Mut und die Fähigkeit zu seinem Begriff, scheint jede Möglichkeit verloren, dem »absoluten Anspruch dessen, was nun einmal so ist«(29) zu widerstehen.
War ein Fehlschluß der Metaphysik, Hoffnung mit Wahrheit zu verwechseln, so sieht Adorno in Nietzsches amor fati, nämlich in der Bejahung dessen, was ist, allein weil das, was radikal anders wäre, nur erhofft werden kann, auch einen Fehlschluß vergleichbaren Ranges. Eine prinzipielle Unrealisierbarkeit der Utopie zu behaupten, ist kein geringerer Verstoß gegen das Bilderverbot als der Versuch, die Utopie konkret auszumalen. Weder kann man dem Wunsch Wirklichkeit noch dem widersinnigen Gang der Dinge Sinn zuschreiben. Dem Fetisch des So-und-nicht-anders-Seins, der Irrevokabilität des Seienden opponiert die Einsicht in das Gewordene des Bestehenden, in die unverwirklichten Möglichkeiten dessen, was ist: »Womit negative Dialektik ihre verhärteten Gegenstände durchdringt, ist die Möglichkeit, um die ihre Wirklichkeit betrogen hat und die doch aus einem jeden blickt« (ND, S. 62).
Adorno optiert demzufolge für ein Denken, das Hoffnung als ein wesentliches Moment in sich aufnimmt, das es begleitet und ihm seine Grenzen zeigt, denn nur durch die Hoffnung geht Denken über sich hinaus, ohne sie aber mit Realität versehen zu dürfen: »Am Ende ist Hoffnung, wie sie der Wirklichkeit sich entringt, indem sie diese negiert, die einzige Gestalt, in der Wahrheit erscheint. Ohne Hoffnung wäre die Idee der Wahrheit kaum nur zu denken, und es ist die kardinale Unwahrheit, das als schlecht erkannte Dasein für die Wahrheit auszugeben, nur weil einmal erkannt ward« (MM, S. 108).
Nur ein Denken, das das Unrecht verneint, kann Ausdruck der Wahrheit sein (vgl. DA, S. 248). Wahrheit ist für Adorno nicht anders möglich, als in der Hoffnung, daß Unterdrückung und Unfreiheit nicht das letzte Wort behalten möchten.(30) Das Absolute ist so die Chiffre einer Möglichkeit ohne Realitätsgarantie, der Möglichkeit der Erlösung, zu der das Denken von der Negativität des Bestehenden und von der Verzweiflung darüber verpflichtet wird. Und trotzdem kann die Verzweiflung »das Dasein des hoffnungslos Entbehrten« (ND, S. 365) nicht verbürgen. Hoffnung ist von daher kein sicherer Besitz, denn als solcher versperrte sie sich gegen das Leid, das zur Verzweiflung zwingt, und verginge sich gegen es, um dessentwillen einzig gehofft werden darf.
Nicht eine festgemachte Transzendenz, die in Natur und Geschichte erscheinen würde, liefert demzufolge das Fundament der Hoffnung; nicht eine scheinlose Wahrheit bietet sich dem liebenden Betrachter im Antlitz des Seienden, sondern nur im Zerfall, im Dunkel der Natur, in den Brüchen und Schründen des entstellten Seienden erstrahlt das Bilderreich des Wunsches und der Sehnsucht, in dem die Spuren des Anderen, Bilderlosen gebrochen aufblitzen. »Wenn [...] Phantasie es nicht vermag, das letzte Bild der Verzweiflung konkret zu fassen [...], dann ist ihr Unvermögen nicht Schwäche sondern Stärke; das Teil von Versöhnung, das verschwindend in ihr erscheint, reicht hin, Verzweiflung ins Wesenlose aufzulösen, während Existenz unaufhaltsam dieser zustürzt. Die Unvorstellbarkeit von Verzweiflung durch Phantasie ist deren Bürgschaft für Hoffnung. In Phantasie übersteigt Natur sich selber; Natur, aus deren Trieb sie kommt; Natur, die in ihr sich anschaut; Natur, die in der geringsten Versetzung durch Phantasie als gerettete sich darbietet«.(31)
Nicht, daß Natur oder ihre Bedürftigkeit ein Garant von Erlösung wären. Es ist die Phantasie, die in der Natur sich selbst überbietet und über sich hinaus geht, die durch Erinnerung die Spuren des Zerfalls in Zeichen der Hoffnung verwandelt. Die Fragmente des zerfallenden Wirklichen lassen sich nur durch auf Rettung zielende Erinnerung in Chiffren der Verheißung transformieren. In den Bildern, die die Phantasie aus den Rissen des Zerfalls rettet, lebt die Sehnsucht, die von sich aus keine Rettung garantieren, ihr aber die Bahn eröffnen kann, durch die sie einmal Realität werden könnte. Denn »Bewußtsein könnte gar nicht über das Grau verzweifeln, hegte es nicht den Begriff von einer verschiedenen Farbe, deren versprengte Spur im negativen Ganzen nicht fehlt. Stets stammt sie aus dem Vergangenen, Hoffnung aus ihrem Widerspiel, dem, was hinab mußte oder verurteilt ist« (ND, S, 370).
Hier hat der Versuch Adornos, den Schein der Metaphysik und der Kunst zu retten, seinen Ort. In Metaphysik und Theologie artikuliert sich nicht nur eine rechtfertigende Überhöhung des Bestehenden, die der Ideologiekritik mit Recht zum Opfer gefallen ist, sondern auch ,die Protestation gegen das wirkliche Elend', um es mit K. Marx zu sagen. Das ,Eingedenken der Transzendenz' bezweckt im Grunde ein Eingedenken des protestativen Impulses gegen Unrecht, Entstellung und Beschädigung des Daseins, Impuls, der Religion und Metaphysik zugrunde liegt und der gegen seine idealistische Verschüttung zur Geltung gebracht werden muß.
Gerettet werden soll also nicht ein von affirmativ gesetzter Transzendenz ausstrahlender Sinn, der sich dann als der Sinn der Immanenz manifestieren würde. Diese durch die Geschichte wiederholt dementierte Metaphysik hat nach Auschwitz definitiv kein Existenzrecht mehr. Rettung des metaphysischen Scheins ist nur durch seine materialistische Verwandlung möglich: »Der Gang der Geschichte nötigt das zum Materialismus, was traditionell sein unvermittelter Gegensatz war, Metaphysik« (ND, S. 358).
Nicht fern vom Materiellen, Somatischen und Niederen, wie die alte Metaphysik es wollte, sondern gerade in all das, in die materielle Existenz als Schauplatz des Leidens muß die metaphysische Fragestellung einwandern, will sie nicht mit der Kultur, mit der sie fusioniert war und die in Auschwitz ihr Mißlingen unwiderleglich unter Beweis gestellt hat, ihr Existenzrecht verlieren. »Kein vom Hohen getöntes Wort, auch kein theologisches, hat unverwandelt nach Auschwitz ein Recht« (ND, S. 360).
Adorno will also das, wofür Metaphysik einst stand, das Hinausgehen über das, was ist, an die geschichtliche Realität rückbinden. Transzendenz bleibt ohnmächtig gegenüber dem Dasein und ist bloß seine Bestätigung oder Kompensation, wann immer sie der dualistischen Gegenüberstellung verfällt. Transzendenz in Adornos Sinn verweist daher auf reale Veränderung des Bestehenden: »Nur wenn, was ist, sich ändern läßt, ist das, was ist, nicht alles« (ND, S. 391).
Im metaphysischen Schein will Adorno mehr als das notwendige Regulativ der Vernunft retten: die reale Möglichkeit von Transzendenz im Seienden. Diese Möglichkeit erscheint nur im Augenblick des Sturzes der Metaphysik. »Der transzendierende Impuls meint nicht ein Jenseits der geschichtlichen Welt, sondern eine andere Verfassung der Welt.«(32) Durch das, was ist, sieht sich die Reflexion zum Hinausgehen über die bestehende Welt gezwungen als deren Kritik. Materialistische Transformation der Metaphysik verleiht dem Innerweltlichen und Geschichtlichen eine neue Relevanz für das, was die traditionelle Metaphysik als Transzendenz abhob. »Kein Eingedenken an Transzendenz ist mehr möglich als kraft der Vergängnis; Ewigkeit erscheint nicht als solche sondern gebrochen durchs Vergänglichste hindurch« (ND, S. 353).
Dies zeigt sich in aller Deutlichkeit an der Todeserfahrung. Versucht die idealistische Metaphysik den Tod zu verklären, über seine Inkommensurabilität mit dem Leben hinwegzutrösten, ihn in der Immanenz des Geistes einzuholen, der sein Widersacher sein sollte, so möchte die materialistisch transformierte Metaphysik die Resistenzkraft gegen die zivilisatorische Integration des Todes und gegen die sich darin ausdrückende Verdinglichung freisetzen, Resistenzkraft, die sich im Verfallsprozeß, in der leibhaft verspürten Inkommensurabilität des Todes anmeldet. »Indem der Tod als nichts anderes mehr wahrgenommen ist denn als das Ausscheiden eines natürlichen Lebewesens aus dem Verband der Gesellschaft, hat dieser ihn schließlich domestiziert: Sterben bestätigt bloß noch die absolute Irrelevanz des natürlichen Lebewesens gegenüber dem gesellschaftlichen Absoluten. [...] Was die Nationalsozialisten an Millionen von Menschen verübt haben, die Musterung Lebender als Toter, dann die Massenproduktion und Verbilligung des Todes, warf seinen Schatten voraus über jene, die von Leichen zum Lachen sich inspirieren lassen. Entscheidend ist die Aufnahme der biologischen Zerstörung in den bewußten gesellschaftlichen Willen. Nur eine Menschheit, der der Tod so gleichgültig geworden ist wie ihre Mitglieder: eine die sich selber starb, kann ihn administrativ über Ungezählte verhängen« (MM, S. 263f.).
Der Tod ist dieser ,negativen' Metaphysik keine invariante Größe, sondern geschichtlich determiniert bis in seine biologische Dimension hinein, wie Auschwitz vor Augen führt. In der Unausdenkbarkeit des Todes, die nicht weniger eindringlich ist als die der Unsterblichkeit, manifestiert sich deshalb nicht nur die Selbsttäuschung einer am Interesse an Selbsterhaltung sich konstituierenden Subjektivität, sondern der Ausgangspunkt des Widerstandes gegen die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse, von denen die konkret-historische Gestalt des Todes abhängt.
Kants Kritik der praktischen Vernunft läßt etwas vom objektiven Gehalt des Unsterblichkeitspostulats erkennen, Gehalt, der sich nicht in subjektiver Konstruktion ausschöpft. »Daß keine innerweltliche Besserung ausreichte, den Toten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen; daß keine ans Unrecht des Todes rührte, bewegt die Kantische Vernunft dazu, gegen Vernunft zu hoffen. Das Geheimnis seiner Philosophie ist die Unausdenkbarkeit der Verzweiflung« (ND, S. 378). Kants Philosophie artikuliert in unvergleichbarer Weise die Aporetik der Hoffnung. Sie öffnet den Raum, wo die Hoffnung existieren kann und den eine melioristische Theorie kollektiver Praxis auf Machbares und Produzierbares reduziert, erliegt jedoch nicht der Versuchung, das Objekt der Hoffnung, die Transzendenz, zu fixieren, was nichts anders bedeuten würde, als sie zu verraten.
Den unsicheren Postulatcharakter schützt die Hoffnung davor, mit einem kognitiv schlagenden Argument verwechselt zu werden. Die Postulatenlehre der praktischen Vernunft respektiert die Grenzen der reinen Vernunft und weigert sich, zur spekulativen Affirmation des Absoluten überzugehen. Die Grenze, die Kants Erkenntnistheorie zwischen Vernunftideen und gegenständlicher Erfahrung zieht, bewahrt Kants Begierde des Rettens davor, zur Affirmation zu verkommen, läßt ihn jedoch, so meint Adorno, nicht zur lebendigen Erfahrung durchdringen, die sich dem Verbot, das Absolute zu denken, widersetzt: sie will ins Offene.
Sind die Postulate keine Existenzialurteile, so verlangen sie die Rettung ihrer Objektivität durch das Subjekt hindurch. Das gelingt nicht durch Rehabilitierung der schlecht affirmativen Metaphysik, sondern nur dadurch, daß man einen emphatischen Erfahrungsbegriff zur Geltung bringt, d.h., durch die Rehabilitierung der Dignität des Körperlichen in der Erfahrung. Wie wir gesehen haben, ist die vielleicht sinnferne Schicht des Somatischen, als deren Ausdruck sich aber das Denken zu bewähren hat, der ,Schauplatz des Leidens'. Alles Denken, das nicht versucht, ihm Ausdruck zu verleihen, »ist es vorweg vom Schlag der Begleitmusik, mit welcher die SS die Schreie ihrer Opfer zu übertönen liebten« (ND, S. 358). Für Adorno ist das »Bedürfnis, Leiden beredt werden zu lassen, [...] Bedingung aller Wahrheit« (ND, S. 29).
Denken kann nur Wahrheit als Ausdruck des Leiden verstehen, wenn es in sich selbst Instinkt, Bedürfnis und Wunsch wahrnimmt. Nur dann wird Dauer zu seiner notwendigen Form, d.h., nur dann wird es zum Eingedenken, Impuls zur Rettung des Vergangenen als Lebendigen. Die Transzendenz, die der rettende Impuls des Geistes anruft und die eine Erfahrung in emphatischem Sinn erreichen will, ist die einer Erlösung, die bis zur somatischen Schicht durchdringt, ja bis zum körperlich erlittenen Leiden. Hier findet sich das Bedürfnis verankert, daß die Erfahrung die Sphäre des Intelligiblen erreichen muß. Dieses ist nicht eine bloß abstrakte Verneinung dessen, was ist. »Der Begriff des intelligiblen Bereichs wäre der von etwas, was nicht ist und doch nicht nur nicht ist« (ND, S. 385)
Im verstörten und beschädigten Weltlauf gerade meldet sich der Anspruch nicht nur nach Abschaffung gegenwärtigen Leidens an, sondern auch nach einer Verfassung der Welt, in der »noch das unwiderruflich vergangene [Leid] widerrufen wäre« (ND, S. 395). Der Glaube an die Auferstehung des Fleisches steht dieser unverbindlichen Sehnsucht der Kreaturen viel näher als alle hohen Ideen spekulativer Metaphysik. Diese Sehnsucht eines jeden utopischen Bewußtseins wird nicht in den Ideenhimmel projiziert, sondern wandert in die Konstellationen von Realitätselementen ein, in denen der Schein eines Anderen das Scheinlose verspricht. »Die kleinsten innerweltlichen Züge hätten Relevanz fürs Absolute« (ND, S. 400).
Nur indem sie sich vorbehaltlos den Dingen in ihrer geschichtlichen Dimension anvertraut, kann Kritik das offenlegen, was unabgegolten blieb, und den Rechten des Möglichen gegenüber dem Gewordenen Ausdruck verleihen. »Alle Verdinglichung ist ein Vergessen", und Kritik heißt eigentlich soviel wie Erinnerung, nämlich in den Phänomenen mobilisieren, wodurch sie das wurden, was sie geworden sind, und dadurch der Möglichkeiten innewerden, daß sie auch ein Anderes hätten werden und dadurch ein Anderes sein können.«(33) In den Dienst dieses anamnetischen Momentes der Kritik tritt das Konstellationsdenken, die mimetische Gestalt von Rationalität. Während im Einzelbegriff sich der Anspruch meldet, mit dem Gemeinten identisch zu sein, Wahrheit auf Verschwindenlassen von Differenz hinausläuft, so daß seine Wahrheit notwendigerweise verfehlt wird, erhofft sich Adorno nicht nur von der Mehrzahl der Begriffe, sondern vor allem auch von ihrer ,konstellativen' Anordnung, was der identifizierende Begriff verhindert: in das Innere der Sachen einzudringen und die in ihnen geronnene Geschichte zu mobilisieren, ohne sich die Sachen gleichzumachen. »Das Innere des Nichtidentischen ist sein Verhältnis zu dem, was es nicht selber ist und was seine veranstaltete, eingefrorene Identität mit sich ihm vorenthält« (ND, S. 165).
Geschichte meint hier also soviel wie ihre Konkretion, ihre Singularität, ihre Nichtidentität mit sich selbst, ihr Werden. Statt den isolierten Gegenstand abstrakt durch Subsumtion zu identifizieren, bezieht sich die konstellative Erkenntnis auf den Prozeß seines Werdens, und dadurch löst sie die Verhärtungen der Identifizierungen auf. Die Naturwüchsigkeit des Bestehenden wird auf ihr Gewordensein hin als Schein durchschaut, und die utopischen Potentiale des Faktischen werden als Möglichkeit seines Andersseins offengelegt. Indem sie die ganze Negativität sinnlosen Leidens sichtbar machen, objektivieren Konstellationen die Bedürftigkeit der Realität und werden so zur inversen Schrift der Transzendenz. Sie können diese nicht garantieren, aber sie bezeugen ihre Möglichkeit durch die Relativierung des Bestehenden, indem sie Distanz gegenüber einer Immanenz anmelden, die die von ihr verlangten Opfer ausblendet, um sie so unerbittlicher zu perpetuieren.
Die Bedeutung der Kunst besteht nach Adorno gerade darin, dieses Desiderat zur Geltung zu bringen. Sie richtet sich nach dem jüdischen Theologumenon, nach dem alles im richtigen Zustand um ein Geringes anders wäre, als es ist. Kunstwerke sind die Sprache des Willens dieses Anderen. Seine Elemente sind in der Realität versammelt, sie müßten nur um jenes Geringe versetzt werden, um so in einer neuen Konstellation ihre rechte Stelle zu finden. Dadurch deuten Kunstwerke darauf, »daß das Nichtseiende sein könnte« (ÄTh, S. 200). Die ästhetische Synthesis unterscheidet sich von der Totalität des Funktionszusammenhangs und seiner idealistischen Überhöhung in Identität dadurch, daß sie nicht das Besondere, die Einzelmomente, die Details eliminiert oder subsumiert. Sie ist Moment und nicht das Ganze des Kunstwerkes (vgl. ÄTh, S. 450 u. 263).
Adorno denkt vor allem an moderne Kunstwerke und an ihren fragmentarischen Charakter. In der parataktischen Konfiguration ihrer Elemente werden das Einzelne und Besondere nicht einer gesetzten Totalität unterworfen. Dadurch visieren diese Kunstwerke das herrschaftsfreie Miteinander des Verschiedenen an. Sie können als Modelle des Nichtidentischen betrachtet werden: »Die Erfahrung des Nichtidentischen in der Kunst drückt ein Approximationsverhältnis aus, eine sich zur allernächsten Nähe verringernde unüberbrückbare Distanz.«(34) Gerade hier wird deutlich, daß das Nichtidentische nicht bloße Faktizität meint, sondern die Utopie einer Beziehung zu der äußeren und inneren Natur ohne Herrschaft. Diese Utopie ist jedoch nicht das ganz Andere des Faktischen. Sie speist sich vielmehr aus der Bedürftigkeit alles Seienden, die im Eingedenken seiner Genesis und der mit ihr verbundenen Leidensgeschichte zutage tritt. Was ,mehr' ist, als es ist, existiert in dem, was ist, als unabgegoltene Vergangenheit, die nach ihrer Einlösung drängt, ohne daß man sagen kann, ob es je sein wird.
Aber Kunstwerke haben nicht das Licht der Versöhnung abstrakt auszudrücken oder gar die Realität als versöhnt darzustellen. Sie haben nur die Elemente der schlechten und falschen Realität so in neue Konstellationen treten zu lassen, daß diese unter dem Licht der Versöhnung erscheint. Paradox hat Kunst »das Unversöhnte zu bezeugen und gleichwohl tendenziell zu versöhnen« (ÄTh, S. 251). Das qualitativ Neue und Andere tritt in der Kunst nur in Korrespondenzen mit dem Vergangenen auf durch seine bestimmte Negation (vgl. ÄTh, S. 67-68). Diese artikuliert sich als Dialektik von mimetischem Ausdruck und rationaler Konstruktion. Durch ihr expressiv-mimetisches Moment ist Kunst Ausdruck der Negativität des Leidens, durch ihr konstruktives Moment versucht sie dem Leiden standzuhalten und den utopischen Horizont seiner Überwindung offenzuhalten. Dadurch wird Kunst Erinnerung eines Versprechens: des Versprechens »des Glücks, das gebrochen wird« (ÄTh, S. 205).
Erinnerung des Glücks als verlorenes erhält in der Kunst denselben kritischen Wert wie die Erinnerung des Leidens. Sie ist ,Widerschein vergangener Hoffnung', verlorener Möglichkeiten, die von der Gegenwart aus wie eine versprochene Zukunft aufgenommen werden. In der Erinnerung verwandelt sie sich in Verlangen und Sehnsucht nach Erfüllung, die an die Gegenwart gerichtet sind. »Was die herrschende Gesellschaft transzendiert, ist nicht nur die von dieser entwickelte Potentialität, sondern ebensowohl das, was nicht recht in die historischen Bewegungsgesetze hineinpaßte« (MM, S. 170).
Kunst bleibt weiterhin nur Schein und keine reale Versöhnung. Wenn sie aber diese Antinomie, Erscheinung der Versöhnung und zugleich ihr illusorischer Schein zu sein, nicht verschleiert, verheißt sie im Schein das Scheinlose: die Versöhnung.
1. J.B. Metz,
»Ökumene nach Auschwitz. Zum Verhältnis von Christen und Juden«, in: Gott nach
Auschwitz. Dimensionen des Massenmords am jüdischen Volk. Hrsg. v. E. Kogon u. Ders.
Freiburg i.Br. 1979, S. 124f.
2. Vgl. ders.,
»Theologie als Theodizee«, in: Theodizee -- Gott vor Gericht. Hrsg. v. W. Oelmüller.
München 1990, S. 103-118; ders., »Plädoyer für mehr Theodizee-Empfindlichkeit in der
Theologie«, in: Worüber man nicht schweigen kann. Neue Diskussionen zur Theodizeefrage.
Hrsg. v. W. Oelmüller. München 1992, S. 125-137; O. John, »Zur Politik der Theodizee«,
in: Jahrbuch Politische Theologie, 1 (1996), S. 66ff.
3. Vgl. Th. W. Adorno,
Negative Dialektik (hinfort im Text zit.: ND), Gesammelte Schriften (hinfort zit.: GS,
1970ff.) 6, Frankfurt a.M. 1973, S. 156.
4. Cfr. E. Nordhofen:
Der Engel der Bestreitung. Über das Verhältnis von Kunst und Negativer Theolgie.
Würzbug 1993, S. 27f., 88ff.
5. Das negative Moment
jüdischer Religion definieren Adorno und Horkheimer in der Dialektik der Aufklärung in
folgender Weise: »Die jüdische Religion duldet kein Wort, das der Verzweiflung alles
Sterblichen Trost gewährte. Hoffnung knüpft sie einzig an das Verbot, das Falsche als
Gott anzurufen, das Endliche als das Unendliche, die Lüge als Wahrheit. Das Unterpfand
der Rettung liegt in der Abwendung von allem Glauben, der sich ihr unterschiebt, die
Erkenntnis in der Denunziation des Wahns. Die Verneinung freilich ist nicht abstrakt. Die
unterschiedslose Bestreitung jedes Positiven, die stereotype Formel der Nichtigkeit, wie
der Buddhismus sie anwendet, setzt sich über das Verbot, das Absolute mit Namen zu
nennen, ebenso hinweg wie sein Gegenteil, der Pantheismus, oder seine Fratze, die
bürgerliche Skepsis. Die Erklärungen der Welt als des Nichts oder Alls sind Mythologien
und die garantierten Pfade zur Erlösung sublimierte magische Praktiken. Die
Selbstzufriedenheit des Vorwegbescheidwissens und die Verklärung der Negativität zur
Erlösung sind unwahre Formen des Widerstands gegen den Betrug. Gerettet wird das Recht
des Bildes in der treuen Durchführung seines Verbots«. M. Horkheimer/Th.W. Adorno,
Dialektik der Aufklärung (hinfort im Text zit.: DA), in: GS 3, 1981, S. 40.
6. Dieser Prozeß fand
nicht ohne Verdrängung eigener Traditionsmomente statt -- und auch nicht ohne
Widerspruch. Eine Identifikation des Christentums mit einer identitätsphilosophisch
fundierten Theologie wäre demzufolge nicht zulässig. Das darf jedoch nicht über das
ungeheuerliche Gewicht dieser Fundierung in der Theologiegeschichte und im Bild
hinwegtäuschen, das demzufolge nicht-theologische Denker von der Theologie verinnerlicht
haben.
7. Th.W. Adorno:
Ästhetische Theorie (hinfort im Text zit.: ÄTh), in: GS 7, 1970, S. 229.
8. Vgl. Th.W. Adorno,
»Engagement«, in: GS 11, 1974, S. 424; ders., »Zur Schlußszene des Faust«, in: GS 11,
S. 129; ders., Jargon der Eigentlichkeit. Zur Deutschen Ideologie, in: GS 6, 1973, S.
500ff.
9. Vgl. ders.,
Stichworte. Kritische Modelle 2, in: G 10, 1977, S. 597-598.
10. Ders.:
»Einleitung zu Emil Durkheim, Soziologie und Philosophie"«, in: GS 8, 1972,
S. 277.
11. Ders: »Versuch,
das Endspiel zu verstehen«, in: GS 11, 1974, S. 290.
12. Ders., Minima
Moralia (hinfort im Text zit.: MM), in: GS 4, 1980, S. 115.
13. In diesem Kontext
ist die Polemik Adornos gegen den berühmten Satz Wittgensteins zu verorten. Jedes Denken,
das sich nach Auschwitz verantworten ließe, muß sich an dem Äußerste messen (vgl. ND,
S. 358): »Wenn der berühmte Wittgensteinsche Satz sagt, daß man das sagen soll, was man
klar aussprechen kann, über das andere aber schweigen, dann würde ich dem den Begriff
der Philosophie geradezu entgegensetzen und sagen, die Philosophie sei die permanente und
wie immer auch verzweifelte Anstrengung, das zu sagen, was sich eigentlich nicht sagen
läßt. [...]; im Tasso heißt es, daß wenn der Mensch in seiner Qual verstummt, ihm ein
Gott gab zu sagen, was er leide. Das ist es eigentlich vielmehr, was die Philosophie
inspiriert; man möchte fast sagen, sie wolle den Schmerz in das Medium des Begriffs
übersetzen« (Th.W. Adorno, Philosophische Terminologie 1, Frankfurt a.M. 1973, S. 82f.).
Auch in diesem Kontext sind seine bekannten Dikta zur Unmöglichkeit von Dichtung nach
Auschwitz zu verstehen: »Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch, und das
frißt auch die Erkenntnis an, die es ausspricht, warum es unmöglich ward, heute ein
Gedicht zu schreiben« (»Kulturkritik und Gesellschaft«, in: GS 10, 1977, S. 30). Aber
auch: »Das perennierende Leiden hat soviel Recht auf Ausdruck wie der Gemartete zu
brüllen« (ND, S. 355). Diese unlösbare Spannung durchdringt das ganze Denken Adornos.
Vgl. dazu D. Claussen: »Nach Auschwitz kein Gedicht? Ist Adornos Diktum übertrieben,
überholt und widerlegt?«, in: H. Welzer (Hg.): Nationalsozialismus und Moderne.
Tübingen 1993, S. 140-247; V. Lenzen: »Sprache und Schweigen nach Auschwitz«, in: W.
Lesch (Hg.): Theologie und ästhetische Erfahrung. Beiträge zur Begegnung von Religion
und Kunst. Darmstadt 1994, S. 183-200.
14. Diese Radikalität wird von Ch. Menke-Eggers verkannt, der für die moderne Todeserfahrung in bezug auf Adorno den Begriff »Krisenerfahrung« benutzt und darüber hinaus behauptet, daß »es nicht entscheidend [ist], welche empirische Gestalt im einzelnen mit der von ihr skizzierten Krisenerfahrung identifiziert wird« (Ch. Menke-Eggers, Souveränität der Kunst. Ästhetische Erfahrung nach Adorno und Derrida. Frankfurt a.M. 1988, S. 232). Menke-Eggers versucht angesichts der Todeserfahrung eine diskursiv artikulierbare ,Negation der Leistung unserer Diskurse' von einem totalen ,Verlust ihrer Relevanz für den Erfahrenden' zu unterscheiden. Diesen Verlust könnte man Menke-Eggers zufolge nur einklagen, wenn man den im außerästhetischen Rahmen unbegründbaren absoluten Geltungsanspruch von Diskursen auch für die Nichtbeteiligten erhebt.
Dieser Unterscheidungsversuch geht aber
an der Singularität von Auschwitz vorbei. Denn in Auschwitz haben wir es mit einer für
die Beteiligten -- wenn man dieses Wort für die KZ-Häftlinge benutzen darf --
prinzipiell nicht nachvollziehbaren Erfahrung zu tun, so daß die Negation der Leistung
der Diskurse sich nicht wieder von einem durch diese Negation nicht berührten
Verständnishorizont her einholen ließe. »In den Konzentrationslagern des Faschismus
wurde die Demarkationslinie zwischen Leben und Tod getilgt. Sie schufen einen
Zwischenzustand, lebende Skelette und Verwesende, Opfer, denen der Selbstmord mißrät,
das Gelächter Satans über die Hoffnung auf Abschaffung des Todes. Wie in Kafkas
verkehrten Epen ging da zugrunde, woran Erfahrung ihr Maß hat, das aus sich heraus zu
Ende gelebte Leben.« (Th.W. Adorno: »Aufzeichnungen zu Kafka«, in: GS 10, 1977, S.
273). Daran zeigt sich die Unzulänglichkeit des Begriffs Krisenerfahrung in bezug auf
Auschwitz, Begriff, dessen Bestimmung als totale Negativität Menke-Eggers später des
Widerspruchs überführen zu können glaubt.
15. In einem Brief
vom 25.1.1937 an Horkheimer kommentiert Adorno seine Kritik an Th. Haecker, wie folgt:
»Ich glaube, hier tun Sie dem theologischen Motiv unrecht. Denn die verzweifelte
Hoffnung, in der allein das an Religion mir zu sein scheint, worin sie mehr ist als
verhüllend, ist nicht sowohl die Sorge um das eigene Ich als vielmehr die, daß man Tod
und unwiederbringliches Verlorensein des geliebten Menschen -- oder Tod und Verlorensein
derer, denen Unrecht geschah, nicht denken kann, und selbst heute kann ich oft nicht
verstehen, wie man ohne Hoffnung für jene auch nur einen Atemzug zu tun vermöchte.
Benjamin hat im dritten Kapitel der Wahlverwandtschaften-Arbeit, die ich nach wie vor für
sein Bestes halte, ausgesprochen, daß die Hoffnung allein für den anderen gilt und nie
für den Hoffenden, und so, glaube ich, hält es auch die jüdische Theologie. Vielleicht
ist es nur dieser winzige Zug, der es mir nicht gestattet, hier alles dem Erdboden
gleichzumachen. Aber ich weiß freilich, daß für lang und vielleicht für unsere
Lebenszeit davon zu schweigen ist.« M. Horkheimer: Gesammelte Schriften 16, Franfurt a.M
1995, S. 34f.
16. M. Brumlik,
»Theologie und Messianismus im Denken Adornos», in: H. Schröter u. S. Gürtler (Hgg.),
Parabel. Ende der Geschichte. Abschied von der Geschichtskonzeption der Moderne? Münster
1986, S. 36. Zum Erlösungsbegriff Adornos vgl. u.a. H. Schweppenhäuser, »Die Religion
in der Kritischen Theorie«, in: Evangelischer Erzieher 23 (1971), S. 173-181; T. Koch,
K.-M. Kodalle u. H. Schweppenhäuser, Negative Dialektik und die Idee der Versöhnung.
Eine Kontroverse über Theodor W. Adorno. Stuttgart/u.a., 1973; H. Hrachovec, »Was läßt
sich von Erlösung denken? Gedanken von und über Th. W. Adornos Philosophie«, in: PhJ 83
(1976), S. 357-370; W. Ries: »Die Rettung des Hoffnungslosen". Zur
theologia occulta" in der Spätphilosophie Horkheimers und Adornos«, in: ZPhF
30 (1976), S. 69-81; P. Steinacker: »Verborgenheit als theologisches Motiv in der
Ästhetik«, in: NZSTh 23 (1981), S. 254-271; L. Nagl, »Das verhüllte Absolute.
Religionsphilosophische Motive bei Habermas und Adorno«, in: Mesotes 4 (1994) 2, S.
176-193.
17. Vgl. Th.W.
Adorno: »Charakteristik Walter Benjamins«, in: GS 10, 1977, S. 252.
18. Ders.:
»Aufzeichnungen zu Kafka«, in: GS 10, S. 284.
19. Die Negativität
ist für Adorno die ,Spiegelschrift' ihres Gegenteils. So umschreibt er den bekannten Satz
Spinozas ,verum index sui et falsi', indem er das Falsche zum ,index sui et veri' macht.
»Das heißt, vom Falschen, d.h. von dem als falsch Kenntlichen aus bestimmt sich das
Wahre. Und so wenig wir die Utopie auspinseln" dürfen, so wenig wir wissen,
wie das Richtige wäre, so genau wissen wir allerdings, was das Falsche ist.« (»Etwas
fehlt... Über die Widersprüche der utopischen Sehnsucht. Ein Gespräch mit Theodor W.
Adorno«, in: Gespräche mit Ernst Bloch. Hrsg. v. R. Traub u. H. Wieser. Frankfurt a.M.
1975, S. 70.
20. H. Hrachovec:
»Was läßt sich von Erlösung denken?...«, in: A.a.O., S. 367.
21. Th.W. Adorno,
»Zu Subjekt und Objekt«, in: GS 10, 1977, S. 743 (unsere Hervorhebung).
22. J. Habermas,
Theorie des kommunikativen Hadelns. Bd. I, Frankfurt a.M. 21987, S. 523.
23. Vgl. J. Habermas,
Vorstudien und Ergänzungen zur Theorie des kommunikativen Handelns. Frankfurt a.M. 1984,
S. 489.
24. Habermas
betrachtet mit großer Skepsis diese Formulierungen Adornos. Die Idee einer ,Natur, die
die Augen aufschlägt' oder die der ,Resurrektion der Natur' sind für ihn bloß
romantisierende Reste utopischer Phantasien, die sich jeder begrifflichen Konkretisierung
entziehen. Vgl. dazu J. Habermas, Theorie und Praxis. Sozialphilosophische Studien.
Neuausgabe. Frankfurt a.M. 1978, S. 348ff.; ders., Philosophisch-Politische Profile,
Frankfurt a.M. 21991, S. 163ff. »Offensichtlich können wir«, schreibt
Habermas, »um der Aufhebung vermeidbarer gesellschaftlicher Repressionen willen auf die
lebensnotwendige Ausbeutung der externen Natur nicht verzichten. Der Begriff einer
kategorial anderen Wissenschaft und Technik ist so leer wie die Idee der universalen
Versöhnung grundlos. Diese hat ihren Grund vielmehr in einem anderen: im Bedürfnis der
Tröstung und der Zuversicht angesichts des Todes, das die inständigste Kritik nicht
erfüllen kann« (a.a.O., S. 177). Man darf jedoch nach Adorno die dialektische
Bedingtheit von innerer und äußerer Naturbeherrschung und gesellschaftlicher Herrschaft
nicht außer acht lassen. Unter dieser Voraussetzung kann der Gedanke der zwangs- und
herrschaftsfreien Kommunikation nicht bei der Idee der Mündigkeit bleiben, sondern
drängt von sich aus zur Idee der Versöhnung (vgl. A. Allkemper, Rettung und Utopie.
Studien zu Adorno. Paderborn u.a. 1981, S. 240, Anm. 531). Habermas selbst sieht die
Relevanz einer ästhetisch-moralischen Beziehung zur Natur für das moralische Handeln
ein, jedoch ohne jeden kognitiven Wert: »Der Impuls zum Beistand für, zur Solidarität
mit der verletzten und erniedrigten Kreatur, das Mitleiden mit ihren Qualen, der Abscheu
vor der nackten Instrumentalisierung der Natur für Zwecke, die unsere Zwecke, aber nicht
die ihren sind, kurz: die Intuitionen, die die Mitleidethiken mit unzweifelhaftem Recht in
den Vordergrund rücken, dürfen nicht anthropozentrisch ausgeblendet werden« (J.
Habermas, Vorstudien und Ergänzungen, a.a.O., S. 515). Was sich aber in solchen
Erfahrungen und in ihren Formulierungen ausdrückt, sind bloß die Grenzen der
Diskursethik. Sie gehören in die unverbindliche ästhetisch-expressive Sphäre oder in
die Lebenswelt.
25. Vgl. A. Thyen,
Negative Dialektik und Erfahrung: zur Rationalität des Nichtidentischen bei Adorno.
Frankfurt a.M. 1989, S. 218.
26. Vgl. Th.W:
Adorno, »Zu Subjekt und Objekt«, in: GS 10, 1977, S. 752.
27. Ders.,
Philosophische Terminologie, Bd. 1, a.a.O., S. 129.
28. Vgl. Ders.,
»Versuch, das Endspiel zu verstehen«, in: GS 11, 1994, S. 320.
29. A.a.O., S. 319.
30. Vgl. Ders.,:
»Wozu noch Philosophie«, in: GS 10, 1977, S. 465. Der Zusammenhang von Wahrheit und
Erlösung wird einsichtig, wenn man Wahrheit mit Adorno als endgültige Rettung der
Phänomene versteht (vgl. R. Buchholz: Zwischen Mythos und Bilderverbot. Die Philosophie
Adornos als Anstoß zu einer kritischen Fundamentaltheologie im Kontext der späten
Moderne. Frankfurt a.M. u.a. 1991, S. 126).
31. Th. W. Adorno,
Kierkegaard, in: GS 2, 1973, S. 196.
32. A. Wellmer:
»Metaphysik im Augenblick ihres Sturzes"«, in: Metaphysik nach Kant?
Stuttgarter Hegel-Kongreß 1978. Hrsg. v. D. Henrich u. R.-P. Horstmann. Stuttgart 1988,
S. 771.
33. Th.W. Adorno:
Einleitung in die Soziologie (1968), Hrsg. v. Ch. Gödde, Frankfurt a.M. 1993, S. 250.
34. N. Zimmermann:
Der ästhetische Augenblick. Theodor W. Adornos Theorie der Zeitstruktur von Kunst und
ästhetischer Erfahrung. Frankfurt a.M./u.a. 1989, S. 120.